Es ist schon seltsam. Eine dieser Ungereimtheiten der Welt. Dass diejenigen, die vermeintlich liberal sind, die sich aktiv gegen rassistische, homophobe und sonstwie menschenverachtende Ressentiments auflehnen, bei der Gruppe der Russlanddeutschen glauben, eine Ausnahme machen zu können.
Für einen modernen aufgeklärten Geist ist es verpönt, Frauen, LGTB Leute und Menschen mit Wurzeln aus anderen Ländern zu beleidigen. Aus sehr guten Gründen. Diese Tendenz, sensibel mit Minderheiten und diffamierten Gruppen umzugehen, ist nur zu begrüßen. Sie zeigt, dass wir uns weiterentwickeln.
Nur gegen die Deutschen aus Russland darf man hetzen. Feuer frei!
Woran liegt es? An unserem Ruf, konservativ, heimatverbunden und rückständig zu sein?
So, als wären wir alle aus einem Guss und würden aus einem Guss die AfD wählen, oder Gruppierungen, die noch rechtsradikaler sind?
Zugegeben, es gibt sie. Unter uns Aussiedlerinnen gibt es Rechte, gibt es Schwulenhasserinnen und Antisemit*innen. Aber doch nicht nur!
Zwischen 2016 und 2017 sind Medienberichte aufgetaucht, die das mit der AfD gebetsmühlenartig wiederholt haben, ohne wirkliche Basis. Die Studien, die darauf folgten, und die deutlich aufwiesen, dass unter den Deutschen aus Russland nur 15% zu dieser Partei neigen, also nur wenig mehr als in der Mehrheitsgesellschaft, sind aus irgendeinem Grund untergegangen.
Wer hat das in die Welt gesetzt? Wer hat den Linken und den Linksliberalen die Munition geliefert, sich so abschätzig und immer wieder so unkreativ (die hatten vor 200 Jahren mal nen deutschen Schäferhund) zu äußern?
Zum Beispiel, so en passant, in einem Eintrag eines sonst eher liberalen Journalisten:
Dass der Vergleich menschenverachtend ist, fällt scheinbar niemandem auf. Die Leute finden das lustig. Unter den 200 Likes sind an die 50 Lachsmilies. Und das auf der Seite von Hasnain Kazim, eines Journalisten, der sonst eine ganz andere, offene Gesinnung propagiert.
Wir haben keinen Zentralrat, der sofort eingreift. Wir sind verstreut und nicht homogen. Es gibt keine Instanz, die solchen Beiträgen gleich Einhalt gebietet. Jetzt nicht und 1996 auch nicht. Als der „Saarland-Gebieter“ Oskar Lafontaine meinte, mit Hetze gegen Aussiedler und Aussiedlerinnen Wahlen gewinnen zu können.
In seinen populistischen Attacken hat er den puren Neidinstinkt derer bedient, die sich vom Staat eh benachteiligt gefühlt haben. Ich denke, er hat mit solchen Aussagen sehr viel zu dem Bild, das noch immer von uns herrscht, beigetragen.
Hier ein Bericht des Spiegel über seine damaligen verbalen Entgleisungen und wohin sie geführt haben.
Wenn Lafontaine und Consorten geplant haben, die Minderheiten und verschiedenen Gruppen gegeneinander auszuspielen, waren sie erfolgreich.
Ob er damals schon in seinen Reden das mit dem deutschen Schäferhund eingeführt hat oder woher dieser unglaublich eloquente Vergleich kommt, kann ich nicht sagen. Aber er geistert wie ein schlechter Geruch noch immer durch die Diskurse. Wie ein Dämon, der, einmal in der Welt, nicht leicht wieder auszutreiben ist und uns immer wieder anfällt. Aus den unerwartetesten Ecken.
Denn leider wird dieser elende Vergleich nicht selten von Menschen herangezogen, die sich aktiv mit Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auseinandersetzen. Solchen, die sich in der antifaschistischen und linksliberalen Tradition sehen. Die alle mit den Samthandschuhen anpacken. Nur eben nicht die Deutschen aus Russland. Als ob die in deren Geschichte nicht schon genug gebeutelt wären! Aber von dieser Geschichte wissen diese belesenen Leute meistens nichts.
Vielleicht sollten wir selbst aktiv werden und ein Buch herausbringen, oder eine Broschüre, in der wir all die Hunde präsentieren, die wir drüben gehabt und verlassen haben. Nur so als Kontrapunkt. Als Statement. Schaut, das sind die Schäferhunde, über die ihr so gern redet.

Meine Familie hatte sich, zwei Jahre bevor wir ausgewandert sind, eine Boxerhündin angeschafft. Era hieß sie, nach Hera der Gattin des Großpatriarchen Zeus. Wir mussten sie da lassen, als wir nach Deutschland geflogen sind. Aus einer Hündin, die immer in Wohnungen gelebt und von Kindern und Erwachsenen bespielt und verwöhnt wurde, wurde über Nacht eine Hofhündin an der Kette. Es belastet mich noch immer und ich kann ein Lied nicht hören, ohne an sie zu denken und eine Träne zu verdrücken.
Hier ist dieses Lied, interpretiert von einem deutschstämmigen Kinderstar in Russland: Rutger Garecht.
Der Song Propala Sabaka, beschreibt die Suche nach einem heißgeliebten, verschwundenen Vierbeiner.
Das ist traurig, aber ich frage mich gerade, verschwundener Hund? Gilt das auch für metaphorische Schäferhunde? Wann wird die vermaledeite Schäferhund-Metapher endlich aus dem Diskurs verschwunden sein?
Nachtrag vom 10.11.
Es ist vielleicht interessant zu wissen, dass es auf Twitter und Facebook viel Gegenwind zu Kazims ursprünglichem Post gab. Sachliche und entrüstete (da war wohl ich bei) Kommentare, die die Unsäglichkeit dieses Vergleichs mit dem Schäferhund anprangerten.
Letztendlich wohl eine konstruktive Auseinandersetzung, denn mittlerweile hat Kazim seinen Eintrag von allen Kanälen gelöscht und wenige Tage nach dem ursprünglichen Post eine lange Replik veröffentlicht.
Nicht alle haben einen Zugang zu dem Programm, ich habe aber keine Lust, den Text in Gänze hier hineinkopieren. Er braucht eine Analyse, denn nach der einleitenden Entschuldigung, verwickelt er sich in weitere abstruse Vorurteile: Es sei aufgrund des deutschen Blutes, der Ethnie gewesen, dass die DaR damals ins Land geholt wurden.
Hier ein Ausschnitt aus Hasnain Kazims Erklärung:
Um es klar zu sagen: Ich gönne es allen, dass sie schnell(er) die Staatsbürgerschaft bekommen haben. Dass sie nicht das Elend der drohenden Abschiebung, die Verarmung durch fehlende Arbeitserlaubnis et cetera erleben mussten. Ich fordere aber von der Politik, dass auch all jene, die hier geboren oder sehr früh hergekommen sind, diese gleichen Rechte und Chancen bekommen. Meine Kritik richtet sich einzig und allein gegen die Kohl-Regierung, gegen diese Politik des „deutschen Blutes“, die Migranten in „echte Deutsche“ und in „die, die kein deutsches Blut haben“ unterteilt. Gegen eine Politik, die heute noch ein Kind, das in Deutschland geboren wird, Türke, Pakistaner, Marokkaner, Nigerianer, Brasilianer, aber nicht Deutschen sein lässt, wenn die Eltern keine deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Auch unter diesem Post hagelte es Kommentare. Denn das mit dem Blut ist leider eine Falschaussage, die Menschen kamen aufgrund des Kriegsfolgengesetzes. Das mit dem „Blut“ ist ein Narrativ, dass die Politiker*innen vieler Parteien im Zusammenhang mit den Deutschen aus Russland damals befeuert hatten.
Ein unzutreffendes, aber eines, das uns noch immer nachhängt und viele Gräben öffnet.
Ich will das nicht unerwähnt lassen, habe diese Woche leider keine Zeit, mich eingehend damit zu befassen. Aber ich fange an, darüber nachzudenken und vielleicht entsteht in Zukunft etwas Geschriebenes dazu.
Auf jeden Fall bin ich froh, dass der Journalist (auch nachdem einige ihn in persönlichen Nachrichten angeschrieben hatten) seinen Fehler eingesehen hat und nun sogar angefangen hat, sich für unsere Geschichte zu interessieren.