Die Russisch Brot Story

Es gibt bei uns diverse kulinarische Erzeugnisse, die das Prädikat „russisch“ beinhalten, aber in Russland völlig unbekannt sind, zumindest unter dieser Bezeichnung. Wie russische Eier, russischer Salat, der russische Zupfkuchen und eben Russisch Brot, das jedes Kind und jeder Erwachsene – in Deutschland – kennt. Das heißt, die gefüllten halbierten Eier gibt es dort schon, die Salate, die Vinaigrette oder Salat Olivier heißen auch, nur gelten sie nicht als besondere russische Spezialität. Diese Kekse aus dem fettfreien Eiweißteig mit hohem Kakaoanteil dagegen sucht man in ganz Russland vergeblich. Und es ist auch schon auffällig, dass die angeblich so russischen Buchstabenkekse immer nur aus dem lateinischen Alphabet stammen. Nach dem Grund gefragt, warum es dieses Gebäck nicht mit kyrillischen Buchstaben gibt, meinte einer der Hersteller: „Unsere Buchstaben bleiben wie sie sind, denn das lateinische Alphabet ist ja auch hier in Russland weit verbreitet.“

Auf dem blog von Wildgans, die neben Gedichten und stimmungsvollen Texten ihre Followerschaft regelmäßig mit einem besonderen Wort des Tages beglückt, tauchte vor kurzem der Begriff russische Eier auf. Das hat mich nicht losgelassen und zu dem folgenden Projekt angeregt. Und irgendwie passen Kekse ja auch zu Weihnachten. Also vielen Dank und bon appetit!

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Russisch Brot gleich русский хлеб?

Legenden und Fakten:

Angeblich sollen bereits die Zaren in ihren Petersburger Residenzen diese Leckerei gekannt und genossen haben. Wie die Journalistin Felicia Englmann für ihr Buch, Sorry, das haben wir nicht  recherchiert hat, existieren über das Gelangen dieser Spezialität nach Deutschland gleich mehrere Mythen:

Mythos Nummer eins: Das Rezept für Russisch Brot komme ursprünglich aus St. Petersburg. Um 1844 soll der Dresdner Bäckergeselle Ferdinand Wilhelm Hanke die Rezeptur von der Walz aus der Zarenstadt in seine sächsische Heimat mitgebracht haben. Die „Bukwi“ waren damals in St. Petersburg angeblich sehr beliebt. Hanke habe sie in seiner Lehrzeit auf dem Newski Prospekt, backen gelernt und eröffnete gleich nach seiner Rückkehr in Dresden eine „Deutsche & Russische Bäckerei“.

Mythos Nummer zwei: Die Ursprünge des „Russisch Brot“ gehen angeblich auf den Wiener Kongress 1814 zurück. Dem Petersburger Gesandten sollte etwas Gutes widerfahren und man entsann sich des Brauchs, den Fremden in Russland mit Brot und Salz zu begrüßen. Wiener Zuckerbäcker nahmen sich der Sache an, konnten aber nicht kyrillisch schreiben. Für diese Version spräche etwa, dass in Österreich für dieses Gebäck ausschließlich die Bezeichnung Patiencen verwendet wird und das Gebäck aus Lateinischen und nicht kyrillischen Buchstaben besteht, was eine russische Herkunft nahelegen würde.

Seltsam ist nur, dass sich all diese Geschichten nicht belegen lassen und von einem Eintrag zum anderen einfach kopiert werden.  Dieser Bäckermeister Hanke lässt sich in Petersburg nicht finden. Vielleicht weiß jemand von den Deutschen aus den Petersburger Kolonien mehr darüber. Ich werde mich mal umhören…

Fakt ist:

Das Gebäck mit der Bezeichnung Russisch Brot gehört zu den Klassikern der industriellen Lebensmittelherstellung. Seit Ende das 19. Jahrhunderts produzierte die Dresdner Firma Gebr. Hörmann Russisch Brot und exportierte es weltweit. Bahlsen stellte es erstmals 1906 her. Die Spezialitätenbäckerei Dr. Quendt aus Dresden produziert das beliebte Süßgebäck entweder seit 1959 oder vielleicht sogar erst nach der Neugründung 1991.

Ähnliche Buchstaben gibt es in Österreich unter dem Namen Patiencen. Seit 1858 stellte Victor Schmidt und Söhne (heute Firma Manner) diese Patiencen als Backware und als Schokoladeversion her, noch heute sind beide in Österreich ein beliebtes saisonales Produkt zur Weihnachtszeit.

Ich erinnere mich dunkel daran, dass wir in Kasachstan im Russisch Unterricht ein Gedicht durchgenommen haben. Da ging es um den Krieg und darum, dass Soldaten der roten Armee durch ihren Sieg über die Faschisten dafür gesorgt haben, dass das duftende russische Brot nicht auf Deutsch „BROT“ genannt wird. Und das Wort BROT hat die Lehrerin, die ich sonst sehr gerne mochte, mit einer solchen Abscheu ausgespuckt. Das hat sich mir eingeprägt.

Aber vielleicht hat sich diese negative Einschätzung im kollektiven Bewusstsein schon längst gelegt und die Firmen Balsen und Dr. Quendt täten gut daran, dieses trockene Gebäck wieder auf dem Newskij Prospekt feilzubieten. Allerdings würde es wohl mehr Sinn machen, wenn sie es unter dem Namen: немецкий хлеб, also Deutsches Brot vermarkten würden.

Autor: Scherbensammlerin

Zwei Länder - verschiedene Identitäten - viele Sichtweisen. Ich sammle Informationsscherben über die Vergangenheit und Gegenwart und füge sie zu einem Mosaik aus Worten und Bildern.

5 Kommentare zu „Die Russisch Brot Story“

  1. Dankschön für die feine Verlinkung! Druschba!
    Das Buch von F. Englmann hört sich auch interessant an!
    Ich hatte mal zahlreiche Schüler, die fast als gesamtes Dorf von Sibirien hier her gezogen waren- ihre Väter saßen dort teilweise im Gefängnis, weil ihre Religion nicht erwünscht war. Es waren sehr liebe Kinder, die soooo nach Geschichten hungerten und auch für mich Gottlose beteten, hach….Die meisten dieser Pfingstgemeinde sind jetzt schon lange in British Columbia.
    Dir gute Zeiten!

  2. Druschba! Die Geschichten von religiösen Gemeinden in Sibirien ist auch eine Geschichte für sich!!!
    Was wünsch ich dir denn für die kommenden Tage? Muße? Liebe Grüße von der Scherbensammlerin

  3. Natürlich gibt es deutsche Leihworte im Russischen. Oft sogar nicht als solche erkannt.
    Das passiert, wenn Kulturen überlappen, interagieren. Aber meine persönliche Erinnerung aus der Schule ist genau so gewesen. Die Lehrerin hat das Wort „Brot“ verächtlich ausgesprochen. Das war Teil der Propagnada, der Hinziehung der Jugend zum Patriotismus. Ich war da erst in der zweiten Klasse, es ist mir nicht eingefallen zu sagen, aber, Frau Lehrerin, oder Elena Michailowna, oder wie sie hieß, es gibt doch noch das schöne Wort бутербрoд, haben Sie es vergessen?
    Es ist so, dass unter der dünnen Schicht der Völkerverständigung ein Diskriminierungs-Monster saß. Nicht nur antideutsch. Auch andere Völker des Vielvölkerstaates haben seine Fratze gesehen.
    Es gab sicher andere Beispiele, das ist nur ein erinnertes Einzelbeispiel. Und бутербрoд hin oder her. Wenn es darum ging, Deutsche mit Faschisten gleichzusetzen, hat das nichts genutzt.

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