Die letzte Hoffnung: Sternenblumenkerne.
… heißt es gleich zu Anfang in einem Band mit Sonettenkränzen. Es ist ein Buch von Max Schatz mit dem Titel Nihilschwimmer. Schon dieser erste Satz trifft mich ins Herz, wer mich und meine Vorliebe für das Knacken von Sonnenblumenkernen kennt, weiß, jetzt hat er mich.
Das Motiv taucht in diesem Sonett immer wieder auf:
Die Kerne einer Blume!? In Verbannung
sie waren täglich seine Manna-Nahrung
doch nun von Fingern schwitzenden zerrieben.
S 13.
Aber ich schweife ab, der erste Satz ist ja nur ein Auftakt. Diese Verse waren ja nicht extra für mich geschrieben, nicht auf mich gemünzt. Obwohl diese Anspielung unsere gemeinsame Herkunft hervorheben, die von mir und dem in Nürnberg lebenden Dichter Max Schatz. Seinen Sonette handeln selbstverständlich um mehr als um Sonnenblumenkerne. Es geht ums Schreiben, ums zurechtkommen mit dem Leben und auch um zwei Heimaten. Denn nicht nur zwischen den Zeilen zeigt sich der Autor als einer, der in mehr als einer Welt beheimatet ist. In „Liebes … totes Tagebuch“ geht es um seine Ausreise aus Kasachstan 1992 und um den Bruch in der Biografie eines Jungen, der mit Sprache jongliert.
Die Sprachaneignung ist offensichtlich geglückt. Schon zu Anfang zeigt Schatz, dass er die Elemente virtuos miteinander verschweißen, Worte so bilden kann, dass sie klick machen. Er ist einer, der nicht um zwei Ecken denkt, sondern gleich um drei, damit wir hinter die Kulissen schauen, bevor er das Haus schnell mal eben auf den Kopf stellt.
Max Schatz ist ein Sprachschwurbler, aber im besten, im freundlichsten Sinn des Wortes. Es macht Spaß, sich beim Lesen in Erstaunen versetzen zu lassen und unsere Welt gespiegelt zu sehen in einem alten Kleid.
Unsere Sprache von heute und die alten gereimten Formen werden miteinander vermischt. Seine Sprache ist modern und doch nicht. Es überrascht, in einem formal so altertümlich anmutenden Gedicht plötzlich was von Reklametafeln zu lesen oder von Blockbustern oder von Tastaturen. Aber es passt schon. Wird passend geschmiedet. Für solche Knobeleien braucht es einen langen Atem. So sind die neun in diesem Band versammelten Sonettenkränze denn zwischen 2009 und 2015 entstanden. Einige sind Nachdichtungen aus dem Russischen, zum Beispiel das Sonett „Wermutkranz für Maximilian Woloschin“ von Elena Seifert oder „Rosarium“, den ursprünglich Sergej Kalugin verfasst hat.
Ganz am Anfang, im ersten Sonett kommt ein russisches aus dem französischen entlehntes Wort vor, das die meisten nicht kennen werden. Taburett. Es ist seine Freiheit, dass er so etwas einflicht, wieder eine Ebene hineinbringt. Keine Sorge: Es tauchen schon auch Dolche, Schwerter, Lanzen auf – in bester shakespearischer Mantel-und-Degen-Manier.
Kostprobe:
Zerbrechen alle Dolche, Schwerter Lanzen,
und wird ein wahrer zum unwahren Eid,
451 Fahrenheit
nicht Ritter nur seh’n Mondprotuberanzen.
S11
Die Sprache mag modern wirken, die Konstruktion, das Gerüst seiner Sonette ist ein altes, konventionelles und er hält sich auch penibel daran.
so! nun kann sich rechtschreibregelnonkonform
allerneuester Sonettkranz präsentieren.
S. 93
…sagt das lyrische ICH selbst lakonisch dazu. In diesem Kranz mit dem Titel „Spektrakel“ spielt der Autor doch stärker mit der Form. Aber nicht, in dem er die die Reime aufbricht, sondern anders. Hier schreibt er alles in Kleinbuchstaben, nur jeweils ein Wort in jedem Sonett WEISS, GRAU, GOLD oder ROT wird hervorgehoben durch die Schreibweise, nur im Meistersonett nicht:
weißes blatt mit was zum schreiben und radieren
in den grauen zellen eine welt entsteht
nur ein leben kurz bis alles blut vergeht
lass die bilder ’nen hauch langsamer passieren!
S. 102
Das ist wohl mein Lieblingskranz in diesem Buch, obwohl es nichts mit Sonnenblumenkernen zu tun hat sondern mit Farben.
Erwähnenswert finde ich noch, dass das Wort Sonettenkranz in Italien corona di soneti und in England crown of sonnets oder sonnet corona heißt. Und dass dieses Buch, wie hätte es anders sein können, im Corona-Jahr 2020 erschienen ist. Aber das nur am Rande.
Wer sich in ein Wechselbad der Sprache stürzen möchte, sollte sich diesen Band jedenfalls nicht entgehen lassen.
Max Schatz, Nihilschwimmer, Sonnettenkränze,
ostbooks Verlag, 2020, 10,- €
ISBN: 9783 947 27 95
Hier als Ergänzung noch eine Rezension dieses Buches von der Dichterin Agnes Gossen in der Moskauer Neuen Zeitung und die Ankündigung bei ostbooks:
https://mdz-moskau.eu/sonettenkraenze-von-einem-wanderer-zwischen-den-welten/