Was hat einer der bekanntesten deutschen Künstler des Jugendstils mit Russlanddeutschen zu tun?
Nun, er starb so wie viele von ihnen, in der Verbannung in der kasachischen Steppe. Vor genau 80 Jahren, im Juni 1942.
Der aus dem Bremer Bürgertum stammende Vogeler, um die Jahrhundertwende gefeierter Künstler des Jugendstils und einer der Begründer der Kunstkolonie Worpswede, wandelte sich nach dem ersten Weltkrieg zu einem glühenden Utopisten sozialistischer Ideen.
Nach 1919 nutzte er sein Haus in Worpswede für die Errichtung einer Kommune mit angeschlossener Arbeitsschule und einer Schule und einem Zufluchtsort für mehrere Dutzend Kriegswaisen.
Seit seinem Wandel ist sein Werk und Wirken eher unsichtbar – er ist zwar keine Persona nongrata wie noch zur Nazizeit, blieb aber lange Zeit ein Eisen, das man lieber nicht angefasst hat. Nicht so gefeiert und bekannt wie ein Rainer Maria Rilke oder eine Paula Modersohn-Becker. Mit denen er gut befreundet war. Er hat Rilke erst nach Worpswede geholt.
Nach einigen Reisen und Besuchen ist Vogeler 1931 endgültig in die Sowjetunion emigriert. Er war in Mittelasien Leiter der Propagandaabteilung und entwickelte monumentale Komplexbilder zur Glorifizierung des Sozialismus. Später war er bei einem deutschen Kolchos-Sowchos-Theate (auch Kollektivisten-Theater genannt) bei Odessa für die Herstellung von Puppen und der Kulissen zuständig. Die Landschaftsaufnahmen und Menschenskizzen, die er auf seinen Reisen in der gesamten Sowjetunion gemalt hat, sind großartig. Gekonnt und Modern. Weit weg vom Jugendstil oder Art Deco. Aber für das Regime sollte er soz-realistisch malen. Sogar die Komplexbilder wurden den Machthabenden im Kreml zu „bürgerlich-feudalistisch“.
So sieht ein von Vogeler gemaltes Komplexbild aus:
Vogeler hat bis 1941 das Leben eines normalen deutschen Exilkommunisten geführt und sogar eine neue Familie gegründet. Doch dann wurde er von der sowjetischen Nomenklatura mit anderen Deutschen zu einer Sammelstelle gebracht und nach Kasachstan deportiert.
Am 30. September kam Vogeler nach einer langen beschwerlichen Reiseim Kolchos 1. Mai, Poststation Kornejewka, Bezirk Woroschilow, Gebiet Karaganda, Kasachische SSR an, wo er mit acht anderen in einem winzigen Zimmer hauste. Total verarmt und geschwächt, ist er fast 70-jährig im Sommer 1942 im Krankenhaus des Kolchos »Budjonny« gestorben.
Es gab vorher Versuche, ihn zu retten. Eine Freundin hat bei Molotoiv seine Rückreise nach Moskau erwirkt, aber er hatte kein Geld für die Überfahrt. Ein Freund schickte ihm Geld, aber auch das kam zu spät.
Es heißt, dass Wilhelm Pieck, ebenfalls kommunistischer Exilant in Moskau und der spätere Präsident der DDR, sich für ein einsetzen und ihn aus der Verbannung befreien wollte. Doch Vogeler habe abgelehnt. Einfach so.
Und zwar mit der Begründung, solange nicht alle Deutschen gleichbehandelt würden, käme das für ihn nicht in Frage.
Dieser Moment verquickt sein Leben noch einmal mit denen der verbannten Russlanddeutschen. Sogar mein Vater kann sich aus Erzählungen anderer an diesen Moment erinnern und erzählt es wie eine Heldengeschichte: „Einmal hat einer sich für uns eingesetzt. Einmal ist jemand für uns eingestanden.“
Betonung auf ein Mal.
War er wirklich so großmütig und wollte keine Sonderbehandlung? Würde zu einem Idealisten wie Vogeler schon passen.
Oder steckte was anderes dahinter? Es kann auch sein, dass er Pieck eine Absage erteilt hat, weil er nicht zugeben wollte, dass seine Idee, sein Traum in eine Sackgasse geraten war. Dass sein gerechter großartiger Staat nichts anderes war als eine menschenverachtende Diktatur. Es wäre ein Einknicken, ein Aufgeben seines Traums von einem idealen Leben gewesen, wäre er zurückgegangen, eine persönliche Kapitulation. Hat er deswegen lieber den Tod gewählt?
Das ist bisher jedoch reine Spekulation. Ich möchte seine Erinnerungen lesen. Seine erste Frau Martha Vogeler hat in Worpswede ein Archiv mit seinen Schriften anlegen lassen. Aber sind die letzten Erinnerungen aus Kasachstan auch dabei? Ich würde gern wissen, ob Vogeler bis zum Schluss an seinen Idealen festgehalten hat oder ob es ihm klargeworden ist, dass zumindest zu dieser Zeit und in diesem Land die von ihm erträumte Utopie nicht Wirklichkeit geworden ist?
Sein künstlerischer Stern am Jugendstil-Himmel, seine Rezeption im Nachkriegsdeutschland ist bald verblasst.
Es gab zwar Ausstellungen seiner Werke, unter anderem 2016 in Kasachstan, Theaterstücke (zum Beispiel 2008 unter der Regie von Tankred Dorst) und Bücher, die meisten antiquarisch zu erwerben. Dennoch ist er nicht so präsent in unserer Kulturwelt, wie andere Worpsweder Künstlerinnen und Künstler. 2015 wurde in Karaganda außerdem ein Gedenkstein eingeweiht, in Kooperation mit der dt. Botschaft, dem Verein Barkenhoff-worpswede und der russlanddeutschen Vereinigung „Wiedergeburt“, die seit den 1960er Jahren aktiv ist.
Sein Schattendasein ändert sich aber auch hierzulande, im Mai kommt eine Doku über Vogeler in die Kinos. Außerdem ist in Worpswede ab dem 27. März diesen Jahres eine Sonderausstellung zu seinem Schaffen anlässlich seines 80sten Todestages entstanden.
Der Besuch lohnt sich bestimmt: https://www.worpswede-museen.de/barkenhoff/heinrich-vogeler.html
Der Trailer zu der Doku: „Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers“ Kinostart: 12.05.2022
Dieses Filmchen ist ein bisschen ausführlicher, 6 Minuten mit Trailer am Schluss
Und von wegen, es ist bis heute nicht bekannt, wo er begraben liegt. Steht so bei Wiki. Wirklich.
Aber Fakt ist, dass Worpsweder Bürger seit Anfang der 90 immer wieder nach Kasachstan gereist sind, um nach Vogelers Spuren zu forschen. Dort haben sie mit Hilfe einer Pflegerin, die ihn damals im Krankenhaus betreut hat, seine Grabstelle auf dem Friedhof des Dorfes Choroshewskoje ausfindig gemacht und ließen ein großes Holzkreuz errichten.
So vielfältig und scheinbar widersprüchlich waren seine Stationen. Düsseldorfer Kunstakademie, Worpswede, Moskau, Taschkent, Odessa, Karelien, und schlussendlich Kornejewka bei Karaganda. Der die Märchen Oscar Wildes illustriert und später markige Arbeiter-Sprüche eines Johannes R. Becher in Form gebracht hat?
Er, der befreundet war mit Rilke oder Modersohn-Becker.
Der Kunst und Leben verquicken wollte, neu gestalten in all seinen Ausprägungen, vom Aufbau eines Hauses bis zu kleinsten Details. Da war der Aufbau einer utopischen Gesellschaft doch nur konsequent.
Der sich in jungen Jahren wie ein Dandy und Romantiker gab und dann zu einem asketischen Kommunisten wurde, der mit anderen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit in der Verbannung wiederfand. Bei Wiki steht tatsächlich, er wäre „1941 evakuiert worden. Und starb im sowjetischen Exil“.
Es ist immer wieder erschreckend, wie gern dieser Teil der Geschichte übersehen oder nicht zur Kenntnis genommen wird.
Es wird Zeit, dass Vogeler in der kulturellen Landschaft endlich, den Platz einnimmt, der ihm gebührt. Als visionärer Träumer und als unermüdlich kreativer Künstler. Nicht nur als Liebling des Bürgertums und Begründer des deutschen Jugendstils.