Ich höre öfter, wir Russlanddeutsche seien defensiv, klängen verbittert und fühlten und leicht gekränkt. Auch in der zweiten Generation. Oder der Anderthalbten. Erst kürzlich ist das wieder geschehen.
Nun, schön ist es nicht, aber es hat Gründe. Und wenn es keine gibt, finden wir eben welche. Zum Beispiel etwas, das harmlos klingt. Im Aachener Dom wird es anlässlich der Flutkatastrophe eine Gedenkfeier geben. Mit Frau Merkel und Herrn Steinmeier und anderen wichtigen Personen. Das ist gut, dagegen ist nichts zu sagen. Der Opfer der Flutkatastrophe sollte unbedingt gedacht werden.
Was mich stutzig macht, ist das Datum. Es fällt genau auf den Tag, an dem wir der russlanddeutschen Opfer der Deportation gedenken. Für Deutsche aus Russland gibt es wenn überhaupt, diesen 28.8.1941, einen Tag, der jetzt sich zum 80. Mal jährt und an dem sie ihrer Opfer gedenken können.
Dass dieser Aspekt bei der Terminwahl im Aachener Dom keine Rolle gespielt hat, ist ziemlich bezeichnend. Ich will, um Gottes Willen, nicht die eine Opfergruppe gegen eine andere ausspielen. Ich will nicht andeuten, dass ich lieber hätte, dass Merkel und Steinmeier im Aachener Dom der russlanddeutschen Opfer gedenken – das ist illusorisch. Bitte nicht falsch verstehen. Ich hier will nicht in ein Mimimi verfallen. Nur aufzeigen, was so läuft, den Status Quo benennen sozusagen. Den Grund dafür, warum DaR manchmal schmallippig werden und sich zurückziehen. Es ist schwer, Bitterkeit und Gekränktsein abzulegen, wenn dir, auch von offizieller Seite, ständig eine gewisse Ignoranz entgegenweht. Dir aufgezeigt wird, du kommst nicht vor. Du spielst keine Rolle.
Gut, die hatten es nicht auf dem Zettel. Ja, kann ich ihnen nicht verdenken. Es ist schlicht und einfach nicht bekannt, bleibt unter dem Radar, nur den Eingeweihten und denjenigen, die schon seit Wochen an zahlreichen Projekten zu diesem Thema arbeiten, ist der 28. August ein Begriff. Als Schlussfolgerung bedeutet das aber, die Öffnung ist noch nicht vollzogen. Die Integration, die ja eine beiderseitige ist, noch nicht erreicht. Das ist ein wenig so wie eine gläserne Decke.
Anderes Beispiel: Eine schreckliche Tat, in Würzburg begangen von einem Amokläufer, der mehrere Menschen tötet, viele verletzt. Einige Passanten haben sich ihm entgegengeworfen, haben versucht, ihn aufzuhalten. Mit Stühlen und anderen Dingen nach ihm geworfen. Die beiden Männer aus Syrien und dem Irak wurden von der Presse regelrecht gefeiert. Die drei jungen Russlanddeutschen, die das auch gemacht haben, nur einmal kurz erwähnt. Nicht wichtig. Nicht betonenswert genug, dass auch Aussiedler, nicht nur Asylanten, solche Heldentaten vollbringen. Vielleicht passen sie nicht ins Schema. Vielleicht kann aus ihnen keine Story gestrickt werden. Wenn sie in eine Schublade passen, dann in ihre eigene. Abgeschlossene, mit einem Schlüssel, der in einen See geworfen wurde.
Es gibt einige solcher Beispiele. Zum Beispiel wurden Russlanddeutsche vermehrt Opfer rassistischer Angriffe und sind nicht immer nur Angreifende. Doch das bleibt ebenfalls unter dem Radar.
Auch hier will ich niemanden gegeneinander ausspielen, sondern nur zeigen, dass Aussiedler noch immer ein weißer Fleck sind. Dabei ist Anerkennung und Gesehenwerden so wichtig für alle Menschen. Das verleiht ihnen Würde. Auch als Gruppe.
Neulich sagte jemand, aus unseren Texten auf der Schweigeminutenseite spricht Bitterkeit. Ja, es ist nicht leicht, diese abzulegen. Zumal in der Bevölkerung die einzige Ansprache eine gefühlt negative ist. So schrieb jemand neulich: „Nicht Russlanddeutsche, Rucksackdeutsche sind es.“
Noch immer nicht angekommen. Dass dieser Begriff aus der Zeit nach 1945 stammt und damals für die deutschen Flüchtlinge aus dem Osten gebraucht wurde, macht das Ganze nicht unbedingt besser. Wir sind also im besten Fall Reisende, oder eben Fremdkörper. Dabei hatten unsere Leute in den späten 1980ern und frühen 1990ern durchaus keine Rucksäcke mit, sondern diese unseligen karierten Plastiktaschen XXL mit Reißverschluss, die mit nicht besonders politisch korrekten Begriffen benannt wurden. Will ich hier nicht wiederholen. Die Hamburger Autorin Tina Übel nennt sie in ihrem Reiseblog: „Nachbarnationendisstasche“.
Ich weiß, dass so etwas niemals einseitig ist. Unsere Leute, unsere Instanzen sperren sich auch, verschließen sich selbst. Lassen junge Leute, die was ändern wollen, nicht ans Ruder. Zeigen ein Bild von uns in der Öffentlichkeit, das weder die Homogenität abbildet noch in die Gesellschaft zu passen scheint. Auch bei den meisten Feierlichkeiten anlässlich des schrecklichen Jahrestages 1941 bleiben wir scheinbar unter uns. Nein, nicht ganz. Nicht mehr. Ich übertreibe. Zum Beispiel wird es Ende des Monats eine Veranstaltung in Berlin geben, bei der nicht nur DaR dabei sind.
Dennoch. Noch immer haben wir dieses Image, das eigenbrötlerisch wirkt, deutschtümlerisch, nicht zeitgemäß. Aber ist es verwunderlich, wenn unsere größte Vertretung diesen Namen trägt: Landsmannschaft. Das klingt schon nach Burschenschaft und Blut-und-Boden-Ideologie. Nach zackigen Männern mit Waffe und Uniform. Seit Jahren weigert sich der Verein, den Namen zu ändern. Ist es ein Wunder, dass uns die Leute, besonders in linksgerichteten Kreisen nicht mit der Zange anfassen wollen? Wir sind selbst schuld. Keine gute und vor allem keine schnelle PR, das Image entweder vernachlässigt oder in die falsche Richtung gelenkt.
Es gibt durchaus Bestrebungen, das zu ändern. Die Podcasts „Steppenkinder“ vom Kulturreferat für Russlanddeutsche, der Podcast „X3“ – übrigens von der Landsmannschaft in NRW unterstützt, da ist doch schon eine Öffnung! – dann der Ableger von LibMod mit dem Namen ost[k]lick oder das „Russlanddeutsche Diarama“ von Dekoder sind große Schritte in die richtige Richtung. Es passiert hier eine Öffnung nicht nur zur Gesellschaft hin, sondern auch zu einer jüngeren Zielgruppe.
Aber die Landsmannschaft bleibt dennoch Landsmannschaft. Seit Ihrer Gründung Anfang der 1950er bis heute. Dieses antiquierte Bild dadurch zu kaschieren, dass man die sperrige Abkürzung LmDR benutzt, ist doch nur ein Feigenblatt.
Wie gesagt, die Öffnung ist nicht nur Sache der Aufnahmegesellschaft. Ich gebe zu, auch von Seiten unserer Gremien, Vertretungen, Instanzen wurden Barrieren errichtet und nicht nur Brücken gebaut oder Hände gereicht. Das ist die zweite Schicht der gläsernen Decke. So sitzen wir also in einem hübschen Raum mit Doppelglasfenster.
Ich hoffe stark, das ändert sich noch.
Einige Projekte und eine Veranstaltung anlässlich des Gedenktages der Deportation am 28.8. 1941:
https://www.erinnerungsnaht.de/
https://idrh-hessen.de/80-jahre-deportation/
https://www.bkge.de/Veranstaltungen/Kalender/3806-deportation-und-erinnerung-80.-jahrestag-der-zwangsumsiedlung-.html
Weitere Links:
Dekoder russlanddeutsches Diarama: https://nemcy.dekoder.org/de
Russlanddeutsche für Demokratie im Netz: https://www.ost-klick.de/
Der Podcast Steppenkinder: https://www.russlanddeutsche.de/de/kulturreferat/projekte/steppenkinder-der-aussiedler-podcast.html
Der Podcast X3: https://www.x3podcas