Nach der Buchmesse gab es einige Posts und Diskussionen zum Thema Buchblogger*innen, zu denen ich ja nicht so pauschal gehöre. Aber ich rezensiere Bücher. Ein Satz blieb mir im Gehirn hängen: dass in Buchblogs so selten Bücher verrissen werden. Und rumorte und rumorte.
Nun fühle ich mir doch auf die Füße getreten. Ich habe noch nie verrissen!
Es ist nicht so, dass es zum Thema Russland keine üblen Bücher gibt. Es gibt so einige Schnitzer aus meiner Sicht. Und ich meine nicht Konsalik. Ich lege sie üblicherweise kopfschüttelnd nach wenigen Seiten weg oder will das, was darin steht nicht auch noch promoten. Oder ich lese sie bis zur Neige und grusel mich.
Haruki Murakami hat mal in einem Interview sinngemäß gesagt, er muss nicht an die Orte reisen, über die er schreibt, das Internet macht die Recherche vom Schreibtisch möglich. Nun. Aber er schreibt ja auch über japanische Menschen und japanische Orte und hat eine Ahnung von Kultur und Sprache.
Bestsellerautoren aus Großbritannien meinen dagegen, etwas über die Oktoberrevolution schreiben zu müssen und kriegen noch nicht mal die Sache mit den Deminutiven richtig hin. Oder in Amerika aufgewachsene Enkeltöchter russischer Immigranten schreiben Familiengeschichten aus Leningrad, die von den Dialogen her genauso gut in Detroit oder Texas spielen könnten. Oder bei Hanni und Nanni. Und westliche Korrespondentinnen berichten über ihre Zeit in Tschetschenien als wären die dort lebenden Menschen Affen aus dem Urwald. Hauptsache Kritikfähigkeit bewiesen.
Aber wer weiß, vielleicht existieren Leser*innen, die genau das mögen? Ich machs mal wie das Känguru und veröffentliche meine Blacklist der letzten drei Monate:
Sachbuch
I.
Autor*in: Sonia Mikich
Titel: Planet Moskau, 1998
Geschichten aus dem neuen Russland
Urteil in einem bis zwei Sätzen: Oft abwertend.
Zitat:Der russischen Küche kann ich nichts abgewinnen. Geschmacklos und konturenlos und nur für drei, vier Versuche gut, und dann lässt man es lieber bleiben. Was ja unschwer dadurch bewiesen ist, daß jeder Russe, der zu Geld kommt, lieber im Pizza Hut sitzt oder beim vorzüglichen Sonntagsbrunch im Hotel Kempinski mit seiner Familie deutsches Sahnegeschnetzeltes genießt.
(Zugegeben, meistens ist es Kohl mit Weißmehl und Schweinefleisch, liegt sehr schwer im Magen und ist furchtbar fettig, aber MUSS SIE DAS SO DEUTLICH SAGEN?)
II.
Autor*in: Aufzeichnungen des Privatsekretärs des Fürsten von Bismarck
Titel: Am Hofe Katharinas II
Aus der Reihe: DIE WEIBERHERRSCHAFT AN DEN FÜRSTENHÖFEN
Berlin, 1931
Urteil in einem bis zwei Sätzen: Mit welcher Kutsche und welcher Entourage welcher Großfürst in welche Sommerfrische gefahren ist. Öde. Auch die angeblichen Enthüllungen.
Zitat: In Perava bekam ich eines Tages heftiges Kopfweh, wie ich mich nicht erinnere je gehabt zu haben.(…) Die Kaiserin legte drei bis vier Werst zu Fuß zurück und ruhte sich dann einige Tage aus. So dauerte die Reise fast den ganzen Sommer. Nachmittags gingen wir zur Jagd.
Belletristik
I.
Autor*in: Paulina Simons
Titel: Die Liebenden von Leningrad, 2001
Urteil in einem bis zwei Sätzen: Muss ich dazu was sagen? Es ist sehr dick. Vielleicht ist auch nur die Übersetzung nicht gut. Aus amerikanischen Englisch ins Deutsche. Da kennt sich vielleicht jemand nicht mit Russland aus.
Zitat:Anatolij wusste nicht genau: War es ihm nur so erschienen, oder hatte Shenja ihn tatsächlich mit einem flüchtigen Blick gestreift? Jene Dichterin, soviel war gewiss, ließ ihre Augen während der Rede mehrmals auf ihm ruhen, und darin las er ein Gefühl, das er nicht gern auf sich bezogen sah: Mitleid.
II.
Autor*in: John Boyne
Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung
Urteil in einem bis zwei Sätzen:
„Ein aufwühlendes, atemberaubendes Epos über das Schicksal des letzten russischen Zaren und seiner Familie.“
The Times
„Du spürst nix von Russland und kannst schon auf den ersten Seiten riechen, welche Auflösung es geben wird. Ratschlag: Bleiben Sie doch bei Themen, die Sie kennen!“
The Scherbensammlerin
(Hier habe ich kein Zitat, denn ich habe es längst in die Verschenkekiste getan.)
Wer diese Bücher dennoch lesen will, ist selbst schuld. Ich habe hiermit alle gewarnt. Aber das vom Fürsten von Bismarck seinem Sekretär war mit Abstand das Schlimmste, was ich je gelesen habe.
Ein Buch habe ich von der Liste wieder entfernt, weil ich mich bei der Suche nach einem geeigneten Zitat festgelesen hab und festgestellt, dass mein erster Eindruck wohl falsch war. Hans Noll, Rußland Sommer, Loreley. Vielleicht ist das doch ein ganz guter Einblick in das Leben zu Sowjetzeiten.
TO BE CONTINUED
Es gibt in der Tat in jeder Sparte seeeehr viele schlechte Bücher 🙂
Das stimmt. Manchmal weiß ich nicht, soll ich Achtung haben vor so viel kreativem Ausbund oder mich doch wundern. So viel Papier. so viel Geduld.
Ja, das ist nicht einfach zu entscheiden
Auf Bücherflohmärkten bin ich immer so erstaunt wie entsetzt, was alles als „Buch“ herauskommt. Auf meinem Beutezug durch den Schund komme ich mir vor wie eine Perlensammlerin.
Und wirklich, es gibt Perlen. Für dieses Geschäft braucht es allerdings einen langen Atem. Mit dem Tauchen und so…Durch die Jahre entwickelt so eine Perlentaucherin ihr Beuteschema. Eine Landkarte der lesbaren Bücher, die erweiterbar ist. Tipps aus anderen Blogs oder aus dem Radio erleichtern die Suche nach ergiebigen Jagd- und Sammelgründen. Es gibt auch Zufallsfunde. Findungen? Fünde?