Nummer neunundvierzig

Der Diktator gerät in einen Strudel. Und ich meine damit nicht den mit Rindfleisch und Soße oder die süßen Strudel mit Marmelade. Nein. Es ist ein wirbelsturmmäßiger Strudel bestehend aus den vielen Entscheidungen, die er getroffen hat. Die ihn immer weiter von dem entfernen, wer er eigentlich war, so als Mensch. Eingesogen in diesen Taifunwirbel wird er glattgeschliffen. Je tiefer er hineingerät, desto mehr entwickelt er sich zu der Schablone eines absolutistischen Machthabers. Mit einer aufgetürmten Perücke und weißen Stümpfen und so hochhackigen Schuhen mit silberner Schnalle. Fehlt nur noch ein Leberfleck als Schönheitspflaster.

Wie bei den Wirbelwinden üblich, ist es in der Mitte sehr still. Als der Alleinherrscher dorthin gelangt, gibt es einen kurzen Moment der Besinnung und dann verschwindet er aus dieser Dimension.

Nummer achtundvierzig

*Vorname und Vatersname des Diktators* schleicht sich aus seiner Residenz in *schicker Vorort der Hauptstadt*. Heimlich bei Nacht. Er trägt einen Kapuzenpulli und eine dieser Camouflagejacken, wie sie von Jägern oder Anglern bevorzugt werden. Er schleicht sich aus dem Vorort, schleicht sich aus dem Gebiet, und weil die Straßen hier so schlecht sind, zockelt er weiter, tagelang, bis er nach langer Wanderung in das abgelegenste Dorf am Rande seiner Diktatur gelangt. Das letzte Stückchen legt er sogar per Boot zurück, denn Straßen gibt es hier nicht.

In dem abgelegensten Dorf mit nicht mehr als sechs Seelen, klopft er an eine Tür und verspricht den Anwohnern viel Geld, sehr viel Geld, wenn sie ihm eine der Hütten überlassen und niemandem davon erzählen. Wirklich niemandem.

Unter dem Decknamen Onkel *Diminutiv des Vornamens* lebt er dort unbehelligt bis an sein Lebensende, jagt, angelt und sammelt im Herbst Pilze.

Zwanzig Jahre später verlaufen sich Dokumentarfilmer an diesen entlegenen Ort. Sie finden asphaltierte Straßen vor, einen kleinen Landeplatz und einen Marmorspringbrunnen mit kleinen Putten in der Mitte des Dorfplatzes.
Vor einer Hütte, die wie ein venezianischer Palast in Miniatur aussieht, sitzt eine alte Frau mit schickem Pagenkopf und geraden weißen Zähnen.
Das Filmteam staunt nicht schlecht. Die Alte erklärt, sie sei bereits sieben Mal in Venedig gewesen und die Stadt habe sie so beeindruckt, dass sie Luigi, ihren Hausarchitekten, beauftragt habe, ihre eigene Hütte ein wenig aufzupeppeln.

Auf die Frage, woher der Reichtum des Dorfes komme, antwortet sie, jetzt kann ich es Ihnen ja sagen, der Gute ist schon längst von uns gegangen. Irgendwann einfach in die Wildnis raus und ist nicht wiedergekehrt. Gefunden haben sie ihn auch nicht mehr. Einfach verschwunden, unser Onkel *Diminutiv des Vornamens*. Angenehmer Mensch. Sehr ruhig, sehr tierlieb.

Nummer siebenundvierzig

Alter Witz, noch immer aktuell:

Ein Mann kommt jeden Morgen zum Kiosk, kauft eine Zeitung, schaut auf die erste Seite und wirft die Zeitung in den Mülleimer.
Das geht so einige Wochen.

Der Verkäufer fragt ihn: „Warum tun sie das?“
Er antwortet: „Ich warte auf eine Todesanzeige.“

„Die stehen doch nicht auf Seite eins.“

„Die, auf die ich warte schon.“

Nummer fünfundvierzig

Es war die Parade zum wichtigsten Feiertag des Landes, dem Tag des Sieges. Bevor der Präsident auf der Empore am zentralen Platz der Hauptstadt seine Rede hält, geht er medienwirksam die Reihe der ordenbehangenen Veteranen und der beiden Veteraninnen ab und lässt sich von ihnen die Hand schütteln. Das ist der erste Fehler. Ein Greis, dessen eine Gesichtshälfte in dem alten Krieg von einem Geschoss zerfetzt worden war, ergreift seine Hand, als wäre sie ein rettender Anker und hört gar nicht mehr auf, sie zu schütteln. Die Lippen des Mannes bewegen sich, er redet und redet. Er scheint nicht zu merken, dass sein Tyrann weiter will, dass er es eilig hat, schnell auf das Podest will, wo ein kleiner Hocker für ihn aufgestellt ist, damit er von unten imposant wirkt und nicht wie einer, der kaum über den Rand der Ballüstrade hinwegsehen kann. Auch das mit dem Hocker wird sich als ein grober Fehler erweisen.

Üblicherweise werden für diese Veranstaltung alle Veteranen, die noch übrig sind, handverlesen. Es sollen ja regimetreue Anhänger und nicht irgendwelche verbitterte Stinkstiefel sein, die unpatriotische Zweifel hegen. Doch leider haben die Wachkräfte an diesem Tag etwas übersehen. Eine der beiden Omas wurde nämlich vom geheimsten aller Geheimdienste dem HNaA ausgetauscht, als sie auf die Damentoilette ging. Sie wurde gefesselt und geknebelt und eine andere hat ihren Platz eingenommen. Eine Alte sieht aus wie eine andere. Und wird auch gar nicht so genau angeschaut. Auch das erweist sich als fatal.

Genau darauf haben die Österreicher spekuliert und ihre beste Doppelagentin ins Rennen geschickt, die schon im kalten Krieg für den Westen spioniert hat und sich auf ihre alten Tage als Besitzerin eines exklusiven Nagelstudios in der Hauptstadt des Regimes niedergelassen hat.

Als der Potentat an ihr vorbeigeht, und ihr die Hand schütteln will, ergreift sie mit beiden Händen seinen ganzen Arm. In diesem Moment sticht sie mit einer feinen Giftnadel, die an ihrem Kunstnagel befestigt ist, durch den teuren Despotenmantel hindurch in des Despoten Arm. Er merkt nichts.

Das Gift breitet sich langsam aus, während er zur Tribüne schreitet und huldvoll auf die Masse herabschaut. Der Diktator räuspert sich, beginnt seine Rede darüber, wie er zwei Brüdervölker vereinen will, von denen eins gar nicht vereint werden will. Nein, sowas aber auch. Auf einmal gibt er so einen kleinen erstickten Laut von sich und kippt über das Steingelände, von dem aus schon seine diktatorischen Vorgänger den Massen zugewunken haben, sechs Meter in die Tiefe.

Genau in diesem Augenblick schreit die versammelte Menge: Urrrraaa! Urrrrraaaa! Urrrrrraaaaaa!

Nummer zweiundvierzig

Bleiben wir bei Twitter. Nein, nicht was ihr jetzt denkt, Elon Musk hat nichts damit zu tun. Irgendwann letztes Jahr kursierte bei Twitter die folgende Frage:
Welcher Satz ließe sich gleichermaßen nach dem Sex und beim Begräbnis des Despoten sagen?

Hier einige der Antworten:
НАДЕЮСЬ ОН ОБРАТНО НЕ ВСТАНЕТ!
Hoffentlich kommt der nicht mehr hoch!

Че так долго собирался?
Warum hat er nur so lange gebraucht?

И это все?
Das wars also?

Nummer einundvierzig

Es ist bekannt, dass sich unser Diktator gern mit Flugbegleiterinnen einer der staatlichen Airlines trifft, um für ein hübsches PR-Foto Tee zu trinken. Der Tee ist überprüft, aber in den Hütchen der Flugbegleiterinnen befinden sich Kapseln mit starkem Schlafmittel. Sie überwältigen die Bodyguards, es sind sind nämlich alles in Salzburg und Riga ausgebildete Doppelagentinnen. Danach ab nach Den Haag. Natürlich mit dem Flugzeug, das sie eh begleiten würden.

Woraufhin der ehemalige Präsident eines anderen Landes twittert: Ihr seid alle solche looser. Lewser!

Nummer vierzig

Eine dunkelblaue Limousine fährt vor. Der Chauffeur steigt aus, öffnet die hintere Wagentür. Der Diktator steigt ein. Nichts besonderes, purer Alltag im Leben eines mittelmäßigen Despoten.
Wäre da nicht.

Es ist nämlich keine gewöhnliche Limousine, sondern ein Portal. Und die Straße keine gewöhnliche Straße, sondern ein Highway to Hell.
Niemandem von den Umstehenden fällt auf, dass der Chauffeur unter seiner Schirmmütze sehr hohe spitze Geheimratsecken hat und auch dämonisch grinst, als er die Tür hinter dem Tyrannen zuschlägt. Dieser ist so sehr in Gedanken vertieft, wie er die Welt zu einem schlimmeren Ort machen kann, dass ihm der Temperaturunterschied nicht auffällt, der zwischen der außenwelt und dem Inneren des Wagens herrscht. Das Fahrzeug beschleunigt rasant mit einem Aufheulen des Motors und verschwindet in einer Wolke aus Dampf und Schwefel.
Die weiteren Limos der diktatorischen Fahrzeugkolonne können nicht folgen und halten mitten auf der Chaussee an. Die Männer mit ihren schicken Anzügen und den Spiegelsonnenbrillen reden hektisch in die kleinen Mikros hinein, die neben ihren Wangen hängen.

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