Kriegskinder und Kriegsenkel – die Bücher von Sabine Bode

Wer sich in unserem Land mit Kriegstraumata beschäftigt, kommt an der Kölner Autorin Sabine Bode nicht vorbei. Mit ihren Büchern „Die vergessene Generation – Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen“ und „Kriegsenkel – Erben der vergessenen Generation“ hat sie vor einigen Jahren die Diskussion um die langen Schatten des Zweiten Krieges angestoßen.

Essensausgabe_1941
Kinder bei der Essensausgabe. Ein Foto aus Oriannes Fund

Laut Bode haben Forscher herausgefunden, dass von den Betroffenen, rund ein Viertel das Erlebte nach kurzer Zeit verarbeitet hat, eine Hälfte nach einer längeren Zeit und ein Viertel unter immer wiederkehrenden Schüben leidet, die das Leben beeinträchtigen. Und von den Nachkommen lebt ebenfalls ein Teil störungsfrei. Doch ein Prozentsatz ist da, der doch was abgekriegt hat. Über die Verhaltensmuster in der Eltern-Kind-Beziehung. Über Kanäle, die nichts mit Erziehung und der Weitergabe von Geschichten zu tun haben.

Nein, am eigenen Leib haben wir, die danach geboren sind, nichts von den Schrecken des Krieges mitbekommen. Aber es gibt Mechanismen, die bewirken, dass die Gespenster der Vergangenheit noch nach Generationen in einer Familie nachhallen. Besonders wenn ein Teppich des Schweigens darüber gebreitet wurde,  so beschreibt es die Autorin in ihrem Buch.

Es sind Ängste, Blockaden, die aus heiterem Himmel auftauchen, unerklärliche Verhaltensweisen, bei manchen sogar chronische Krankheiten und wiederkehrende Alpträume vom Krieg. Bei der Lektüre des Buches über die Kriegsenkel habe ich oft gemerkt, denen geht’s wie mir. Nicht die Alpträume, davon werde ich verschont. Sie stehen sich oft im Weg. Genauso wie ich. Sie haben Angst, Fehler zu machen. Weil innerlich so ein Verbot herrscht falsche Entscheidungen zu treffen, denn in der Vergangenheit haben sich kleine Fehlentscheidungen als fatale Fehler erwiesen.

Vielleicht kann ich nicht alles, was in meinem Leben schiefläuft, darauf zurückführen ein Kriegsenkel zu sein, aber allein die Lektüre, hat schon zu so manchem Aha-Erlebnis geführt. Es hilft mir, mich mit Wohlwollen zu betrachten, wo ich mir früher Vorwürfe gemacht habe. Ich bin nicht allein. Ich muss nicht drüberbügeln und funktionieren. Denn da sind Leerstellen in meiner Seele, die hindern mich daran, vorwärts zu gehen. Es hat sich was eingenistet auch wenn die Geschichten von damals mehr als vage bleiben. Und ich bin nicht die Verursacherin, in mir wirkt sich aus, was da nicht hingehört.

Bei einem Vortrag von Sabine Bode habe ich mich einmal gemeldet und gefragt, ob sie auch was zu Russlanddeutschen und deren Kindern gemacht hat, genug unverarbeitetes Trauma wäre da ja vorhanden.

Doch leider meinte sie, sie habe sich noch nicht damit befasst und es wäre auch nicht ihre Aufgabe. Ich habe sie damals so verstanden, dass die Schicksale und Lebenswege dieser Menschen so weit entfernt sind von dem, womit sie sich auskennt. Sie ist bewandert in der bundesrepublikanischen und deutschen Geschichte und es wäre schon schwierig gewesen, die Bürger der ehemaligen DDR in das Projekt einzubinden. Und Russland, das würde ja ein ganz neues Fass aufmachen und darum müsste sich jemand anderes kümmern.

Schade. Ich glaube, dass man viele von den Phänomenen, die sie schildert, übertragen kann. Wenn auch nicht alle. Die starke Familienbindung unter den Deutschen aus Russland ist sicher einer der  Unterschiede. Denn die sogenannte schwarze Pädagogik der Johanna Harrer hat es nicht bis über den Ural geschafft. Es wäre auf jeden Fall spannend, das weiter zu verfolgen.

Autor: Scherbensammlerin

Zwei Länder - verschiedene Identitäten - viele Sichtweisen. Ich sammle Informationsscherben über die Vergangenheit und Gegenwart und füge sie zu einem Mosaik aus Worten und Bildern.

5 Kommentare zu „Kriegskinder und Kriegsenkel – die Bücher von Sabine Bode“

  1. Liebe Mel:)

    Ich las erst kürzlich von einer alten Frau, sie hat Jahrgang 1932, als Kind musste sie den Krieg mit den Luftangriffen miterleben, sie ertrug alles stoisch, nach dem Krieg „funktionierte“ sie als Mutter und Ehefrau perfekt, bis vor einem Jahr, da gab es in der Nähe ihres Hauses eine Flugshow an der auch ein schwerer US-Bomber aus dem WWII mitflog. Als sie ihn hörte, machte sie einen Hechtsprung unter die Gartenbank und bekam einen Weinkrampf, alles ist bei der Frau ausgebrochen, die ganzen letzten Jahrzehnte, nun muss sie in psychiatrische Behandlung, aber es soll ihr schon besser gehen. Der Mensch kann eben doch nicht alles ertragen….

    Liebe Grüsse:)

    Orianne

  2. Liebe Orianne,

    stimmt, diese Geschichte habe ich auch so oder so ähnlich gehört. Was für eine Leistung, Dinge über mehrere Jahrzehnte zu verdrängen. Purer Selbstschutz. Es passieren jetzt, 75 Jahre nach dem Beginn des WWII (ich benutz auch oft die englische Schreibweise) noch immer gruselige Sachen. Eine Freundin hat mir mal erzählt, als Kind hat sie immer Flucht gespielt. Hat alle ihre Sachen in den Puppenwagen gepackt und ist geflohen. Und das ohne zu wissen, dass ihre Familie vertrieben war. Offen geredet wurde ja selten darüber. Und ich hatte vor Jahren, als ich mein Kind gestillt habe ständig Angst, das Dach würde über uns zusammenbrechen und ich müsste sterben. Bis ich gelesen habe, dass in Königsberg so eine ähnliche Szene passiert ist und nur das Kind überlebt hat. Es geschehen schon seltsame Dinge mit uns.
    In diesem Sinne, komm gut durch den Tag
    Scherbensammlerin

  3. Liebe Scherbensammlerin,
    ich finde es sehr interessant, dass Sie die Frage gestellt haben, ob es Studien zu Erfahrungen von Kriegsenkel der Russlandsdeutsche gibt. Ich bin zwar keine Russlandsdeutsche doch stammt meine Mutter aus Ost- Böhmen und bin selbst im „Ausland“ aufgewachsen. Ich denke, die deutsch sprachigen Minderheiten in Zentral und Osteuropa haben viele gemeinsame Erfahrungen, die diese aber auch zum Teil von der Bundesdeutschen Bevölkerung trennen. In meiner Familie wurde geschwiegen, dh von einer Tante erfuhr ich ganz kleine „Vorwarnzeichen“, konnte die aber damals nicht richtig deuten wg mangelnden Wissen und Deutschkenntniss. Erst vor paar Jahren erfuhr ich per Zufall über Radio Praha über Ereignisse die unmittelbar in der Gegend meiner Familie passierten. Es ist schon komisch, die Erwachsene Generation schonte die Kriegskinder so gut es ging und schwieg natürlich bei den Enkelkinder, die Kriegskinder bekammen die Lebensgefahr unbewusst natürlich mit, je nach Alter erleiden diese Alpträume die diese aber nicht richtig deuten können, und als Kriegsenkel wie man in D. sagt, erfährt man dann per Zufall was dort alles passierte, kann aber mit den Eltern nicht darüber sprechen, da die Mutter zu labil und ohnehin traumatisiert ist. Oder spielen wir alle ein Spiel und schonen uns gegenseitig?
    Lieben Gruss, h

  4. Liebe h.
    manche Kriegskinder und Kriegsenlkel gehen raus aus dem System Familie und treffen sich mit anderen, die ähnliche Erfahrungen und Schicksale erlebt haben in Erzählkreisen und Erzähl-Cafés oder Projekten, die biografisches Schreiben anbieten. Ich denke oft, dass die eigenen Eltern, die ja wie Sie es auch sagen traumatisiert und nicht sehr stabil sind, nicht immer die besten Ansprechpartner für solche Themen sind. Und wenn die wirklichen Ereignisse durch Schweigen verborgen bleiben, anhand der Lebenswege anderer, gelingt manchmal eine Rückbesinnung auf sich selbst. In unserer Zeit tauchen immer wieder Sendungen, Bücher oder Vorträge zu diesen Dingen auf, es wird vermehrt hingeschaut und das ist sehr heilsam.

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